Eine
Woche war vergangen. Eine Woche, die ich mit Danielle verbracht hatte,
zumindest zum Großteil. Mira war natürlich immer noch skeptisch und das
konnte ich ihr nicht verübeln. Aber ich war mir sicher, dass alles gut
war. Immerhin war es schon eine Woche her.
Ich
saß auf dem Tisch meines Platzes im Chemieraum und beobachtete das
Treiben, das teilweise sehr kindisch war. Zwei Jungs machten sich am
Waschbecken zu schaffen und spritzten vorbeilaufende Mädchen an, welche
darauf hin kreischten, als würde jemand mit dem Messer hinter ihnen her
sein. Das war doch lächerlich. Kopfschüttelnd senkte ich wieder den
Bleistift aufs Papier und setzte meine Zeichnung fort. Seit ein paar
Jahren versuchte ich mich an Mangazeichnungen, einfach weil ich diese
Richtung liebte. Seit ich das erste Mal Sailor Moon gesehen hatte, war
ich total süchtig danach. Ich glaube, ich war acht Jahre alt, als die
Serie aus Japan über den Bildschirm flimmerte. Das faszinierte mich so
sehr, dass ich bald anfing, jede Animeserie zu süchteln, die im
Fernsehen zu sehen war. Das war Kindheit gewesen! Wenn ich heute ins
TV-Programme gucke, womit die Kinder heutzutage zugebombt werden...da
wundert es mich nicht, dass die Kinder immer respekt- und niveauloser
werden.
Jedenfalls
machte ich gerade eine Wunschzeichnung für eine Klassenkollegin.
Lustigerweise genau eins von Sailor Moon. Ich war regelrecht überrascht,
dass hier überhaupt jemand so etwas kannte.
“Was
machst du?”, riss eine herablassende Stimme mich aus den Gedanken, die
nur Kristin gehören konnte. Ich hatte keine Lust, mich auf eine
Diskussion einzulassen, dennoch antwortete ich recht grimmig: “Ich
wüsste nicht, was dich das angeht.”
Dabei
versuchte ich, meine Zeichnung zu verdecken, doch Kristin riss sie mir
aus der Hand und machte sie damit kaputt, da eine Ecke hängen blieb. Das
brachte mich zur Weißglut.
“Hast
du sie noch alle?”, fuhr ich sie an und war kurz davor, ihr eine zu
scheuern. Ich ließ mir ja vieles gefallen, aber wenn man sich an meinen
Zeichnungen zu schaffen machte, dann war das gefährlich. Da konnte ich
nicht ruhig bleiben. Kristin schenkte mir nur ein abfälliges Lächeln,
ehe sie sich die Zeichnung besah, weiterhin spöttisch.
“Bist
du nicht etwas zu alt für diesen Mist?”, meinte sie schließlich und
pfefferte mir die Zeichnung auf den Tisch, “abgesehen davon sieht es
echt scheiße aus.”
Okay,
ich wusste selbst, dass ich nicht besonders gut im Zeichnen war. Aber
es war, als würde ich am Boden liegen und sie trat noch auf mich drauf.
Bisher war ich mit dem Bild nämlich einigermaßen zufrieden gewesen. Was
jetzt allerdings total dahin war. Doch ich ließ mir nichts anmerken.
“Machs
doch selbst besser”, gab ich zurück und hoffte, dabei so griesgrämig zu
klingen, wie ich es wollte. Es nervte mich, dass sie andere
runtermachte wegen Dingen, die sie vermutlich nichtmal ausprobiert
hatte. Ihre Reaktion fiel so aus, wie man sie von ihr erwartete: Sie
warf ihr blondes Haar zurück, schenkte mir einen herablassenden Blick
und sagte spöttisch: “Als ob ich so tief sinken würde, das ist doch
Kinderkacke. Werd erwachsen.”
Mit
erhobenem Haupt stolzierte sie auf ihren Platz. Diese Person schaffte
es, mich zu Dingen zu verleiten, die ich sonst niemals tun würde. Auch
dieses Mal. Ich knüllte meine Zeichnung zusammen und warf sie ihr an den
Kopf, wobei ich es schade fand, dass kein Stein drin war. Ich war zwar
unsicher, aber auch ich durfte schlechte Gedanken haben, auch wenn ich
sie nicht in die Tat umsetzte.
Dies
war die letzte Zeichnung für eine sehr lange Zeit. Nachdem ich sie neu
gemacht hatte und auch beendet, hatte ich 2 Jahre lang keine Zeichnung
mehr gemacht. Ich hatte die Lust daran vollkommen verloren. Und dafür
hasse ich mich heute noch. Hätte ich nicht aufgehört, wäre ich jetzt
wohl viel besser.
Noch
am selben Tag bekamen wir unseren Deutsch Aufsatz zurück, auf den ich
eine glatte Eins hatte. Ich liebte es, Aufsätze zu schreiben. Das hob
meine Laune ein kleines bisschen. Aber nur für eine kurze Zeit. Denn
kaum klingelte es zur Pause, kam Philippe auf mich zu und nahm den
Aufsatz an sich: “Guckt euch mal diese Streberin an! Ein Fehler und
unter der Note: Sehr gut geschrieben! Du tust eh nichts anderes als zu
lernen, was? Oder hast du dich beim Lehrer eingeschleimt? Kein Wunder,
dass du keine Freunde hast!” Damit traf er einen wunden Punkt. Klar, ich
hatte Mira, aber sie war mehr eine Zimmerkollegin als eine wirkliche
Freundin. Und Danielle...war eben Danielle. Aber bisher konnte ich damit
immer gut leben, schließlich habe ich mich ja selbst abgeschottet.
Vermutlich als Sicherheitsmaßnahme, wie mein Psychologe später sagen
wird.
“Na
und, dann bin ich halt ne Streberin”, entgegnete ich und nahm ihm
meinen Aufsatz weg, “ihr werdet dafür irgendwann auf der Straße landen
mit euren miesen Noten.” Ich fragte mich, woher ich diesen Mut nahm,
denn eigentlich war er vergeblich. Meine Sachen landeten in meiner
Umhängetasche und ich floh direkt aus der Klasse, während die Hälfte
davon mir lachend hinterhersah. Dieses Lachen werde ich nie vergessen,
noch heute verfolgt es mich in meinen Träumen.
Ich erreichte das Zimmer und schmiss die Türe hinter mir zu. Zuerst musste ich ein paar Mal durchatmen, um nicht zu heulen. Ich fragte mich, warum ich mir das überhaupt zu Herzen nahm, von Menschen die mich nicht kannten. Sie sprachen zwar die Wahrheit, aber das konnten sie ja eigentlich nicht wissen.
Ich erreichte das Zimmer und schmiss die Türe hinter mir zu. Zuerst musste ich ein paar Mal durchatmen, um nicht zu heulen. Ich fragte mich, warum ich mir das überhaupt zu Herzen nahm, von Menschen die mich nicht kannten. Sie sprachen zwar die Wahrheit, aber das konnten sie ja eigentlich nicht wissen.
Mira
war nicht da, also konnte ich mich in Ruhe auslassen. Ich zog den
Aufsatz aus meiner Tasche und starrte ihn an. Ich las ihn nicht, ich
starrte ihn nur an, bis er vor meinen Augen verschwamm. In einem
plötzlichen Anflug von Wut, zerriss ich ihn in viele kleine Schnipsel,
die schließlich im Müll landeten und zog meine Schreibtischschublade
auf. Dort bewahrte ich seit neuestem eine Packung Zigaretten auf.
Jedesmal wenn ich mit Danielle unterwegs war, rauchte ich mit. Innerhalb
einer Woche war das zur Gewohnheit geworden. Ich hasste es, dass ich
das tat. Aber ich vertrat die Überzeugung, dass ich jederzeit aufhören
konnte. Und ich tat es ja nur, damit Danielle sich nicht über mich
lustig machte. Eine Weile stand ich regungslos da, ehe ich die Packung
nahm, meine Jacke überwarf und runter zum Teich ging. Zum ersten Mal
ging ich dort alleine hin, um zu rauchen. Aber ich hatte im Moment so
das Bedürfnis danach, dass ich es nicht aushielt. Ich war schwach..und
ich sollte noch schwächer werden.
Ich
zündete mir die Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Ich fühlte mich
im selben Moment schuldig und frei. Auf jeden Fall brachte es mich
etwas runter und damit war ich zufrieden. Ich starrte in den Teich, die
Worte hallten immer noch in meinem Kopf wieder. Streberin. Keine
Freunde. Ich sah mich vor mir, mit 60 Jahren und umringt von Katzen. Ja,
so würde ich vermutlich enden. Ich fing ja jetzt schon damit an. Ein
trockenes, freudloses Lachen kam über meine Lippen. Ich war ja so
erbärmlich. Was wollte ich eigentlich noch alles verkacken? Aus mir
würde doch sowieso nie was werden, ganz egal, wie gute Noten ich hatte.
Im Grunde blieb ich das dumme Ding, das nicht für sich selbst sorgen
konnte und kein Selbstbewusstsein hatte. Ich würde mich nie in eine
Gruppe von Menschen integrieren können, weil ich mich selbst zum
Außenseiter machte. Was für eine rosige Zukunft.
Seufzend
warf ich den Zigarettenstummel ins Gras, was so gar nicht dem
entsprach, wie ich mich sonst benahm, aber im Moment war es mir ziemlich
egal. Zehn Minuten später machte ich mich auf den Rückweg, etwas
entspannter und vorallem wieder ruhiger. Ich kam nicht mal bis zum
Wohntrakt, als ich schon wieder aufgehalten wurde. Diesmal von Kristins
anderer Freundin, Marissa. Sie hasste ich fast so sehr, wie ich Kristin
selbst hasste. Ich wollte nicht mit ihr sprechen, also lief ich schnell
weiter. Sie packte mich am Handgelenk und hielt mich zurück.
“Renn doch nicht weg”, meinte sie in lieblicher Stimme, “ich will nur kurz mit dir reden.”
Ich
riss mich los: “Ich aber nicht mit dir. Also..” Ich ging weiter, doch
sie folgte mir, sodass ich mich gereizt zu ihr umdrehte. Wie konnte man
so nervig sein?
“Was willst du von mir?”, fragte ich sie aggressiv und starrte sie entnervt an. Ich hatte für heute wirklich genug von allen.
“Ich
wollte dich zur Party am Samstag einladen”, meinte Marissa ganz
unschuldig, “es gibt noch ein paar Einladungen und Kristin meinte, ich
soll dich einladen. Als Entschuldigung für das heute Mittag.” Damit
hielt sie mir einen hellblauen Briefumschlag hin. Ich nahm ihn
misstrauisch entgegen.
“Achja?”,
fragte ich nur skeptisch und nahm die Einladung heraus, die anscheinend
aus der Druckerei stammte. In edler schnörkliger Schrift wurde der Text
auf hartem Papier mit einer Prägung gedruckt. Wie spießig.
Marissa
schenkte mir ein Lächeln, ehe sie sich wieder entfernte. Ich blickte
auf die Einladung und wollte sie in den nächstbesten Mülleimer werfen,
doch dann hielt ich inne. Vielleicht sollte ich ja doch mal gucken, was
passierte. Ich ahnte zwar, dass es schlecht laufen würde, aber was hatte
ich schon zu verlieren?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen